Alkoholabhängigkeit: Mut schafft Lösungen!

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Hintergrund

«Sei mutig!» – diese Aufforderung taucht immer dann auf, wenn wir Menschen mit Situationen konfrontiert werden, welche den Charakter des «Bedrohlichen» und des «Unbequemen» in sich tragen, welche uns aus dem Alltagstrott herausreissen und uns herausfordern, welche nach persönlichem Engagement und (auch) nach unbequemen Lösungen verlangen.

Mut als Voraussetzung für Lösungen…
Mut ist in bedrohlichen und unbequemen Situationen eine wichtige Voraussetzung für Lösungen: mutig zu sein ermöglicht den ersten Schritt, damit Lösungen überhaupt möglich werden! Mut kann in diesem Zusammenhang verstanden werden als eine innere Ausrichtung, für jemanden oder etwas einzustehen, auch mit dem Risiko, sich zu exponieren und der Kritik auszusetzen. Diese Eigenschaft wird häufig auch als Zivilcourage umschrieben.Im Zusammenhang mit der Alkoholproblematik bedeutet mutig sein ganz konkret: Sich als persönlichen Schritt für Alkoholabhängige und ihre Interessen einzusetzen, als Angehörige, als Fachleute, als Behördenmitglieder, als PolitikerInnen usw. Es bedeutet auch: Sich der «Globalisierung» zu widersetzen, indem mit persönlichem Engagement deutlich wird, dass der Einzelne zählt und dass der persönliche Beitrag ein wirksames Signal gegen Ohnmacht und gegen Mutlosigkeit ist. Aber auch die Betroffenen selbst sind gefordert: Sich und seinem Umfeld ein Alkoholproblem einzugestehen und damit auch die eigene Person und das eigene Verhalten in Frage zu stellen, braucht ebenfalls eine gehörige Portion Mut. Ohne diesen mutigen «inneren» Schritt des oder der Betroffenen kann keine Behandlung wirklich wirksam sein.

Die Gesellschaft: Der Mut, das Problem zur Sprache zu bringen und ein förderliches Klima für mutige Schritte zu schaffen…
In der Schweiz leben heute 300 000 Menschen mit chronischen Alkoholproblemen. Dies sind rund 6% der erwachsenen Gesamtbevölkerung. Alle diese Männer und Frauen stehen in einer sehr bedrohlichen Lebenssituation, die nach Veränderung und Lösungen verlangt, sei es durch den eigenen Leidensdruck, durch den Druck des (mit-)leidenden persönlichen Umfelds oder den (Kosten-)Druck der Gesellschaft.Damit das Problem der Alkoholabhängigkeit in unserer Gesellschaft wirksam angegangen werden kann, muss es von dieser überhaupt zuerst einmal in seinem ganzen Ausmass wahr- und ernstgenommen werden. Ein erster Schritt ist daher der Mut, die unbequeme und oft tabuisierte Problematik in der Öffentlichkeit beim Namen zu nennen und in ihrer Komplexität zur Sprache zu bringen, auch wenn dafür kaum mehrheitlich Applaus zu ernten ist. Die Aufgabe, diesen Mut aufzubringen, kommt insbesondere auch den Medienschaffenden zu, welche in unserer Gesellschaft ausschlaggebend sind für den Informationsfluss und die Meinungsbildung.Es geht im gesellschaftlichen Rahmen nicht nur um die Wahrnehmung der Problematik, sondern auch um eine Veränderung der Sichtweise: Die Gesellschaft darf es sich nicht zu einfach machen, indem sie alkoholabhängige Menschen zu «selbstverschuldeten Alkoholikern» stempelt und sich so aus der Verantwortung stiehlt. Die Alkoholabhängigkeit ist nicht einfach ein individuelles Versagen, sondern eine «Zivilsationskrankheit par excellence». Unsere Gesellschaft muss daher ebenfalls den Mut aufbringen, ihren «krankmachenden» Anteil an der Problematik anzuerkennen und entsprechend Verantwortung zu übernehmen und hilfsbereit zu sein.Die Hilfsbereitschaft ihrer Umwelt ist für die Betroffenen besonders wichtig, denn: Selbst wieder Mut zu schöpfen und mutig zu sein, setzt nicht zuletzt ein offenes und vertrauensförderndes gesellschaftliches Klima voraus, wo der Einzelne spürt, dass er mit einem mutigen Schritt auch wirklich eine Chance hat! Ist dies nicht der Fall, geht es gerade bei Alkoholproblemen schnell wieder einfach nur darum, «das Gesicht nicht zu verlieren». Alkoholprobleme werden damit wieder zur Tabuzone und mutige Schritte werden durch den Druck der Gesellschaft verhindert. Wichtige Voraussetzung für mutige Schritte ist deshalb, Menschen mit Alkoholproblemen nicht auszugrenzen und zu stigmatisieren, sondern auf sie zuzugehen, ein offenes Ohr für sie zu haben und sie in ihren Anstrengungen zu unterstützen.

Die Betroffenen: Der Mut, sich ein Problem einzugestehen und Hilfe zu beanspruchen…
Ob krank oder gesund: Eigene Schwächen, Fehler oder Unzulänglichkeiten zuzugeben, macht vielen Menschen Mühe. Was uns schon bei kleineren Dingen im Alltag oft Magenschmerzen bereitet, wird bei existenziellen persönlichen Problemen noch sehr viel schwieriger. Kaum einem Betroffenen fällt es leicht, den bedrohlichen Umstand zu akzeptieren, «die Flasche» – und damit meist auch das eigene Leben – nicht mehr wirklich «im Griff zu haben», sich nicht mehr selbst helfen zu können und auf die Unterstützung anderer angewiesen zu sein. Es ist ein typisches Merkmal von Alkoholabhängigen, ihr (oft bereits offensichtliches) Suchtproblem so lange wie irgend möglich zu verdrängen und zu leugnen.Sich und nicht zuletzt auch seinem Umfeld einzugestehen, dass man ernsthafte Alkoholprobleme hat und professionelle Hilfe benötigt, bedingt eine gehörige Portion Mut und geschieht oft erst unter beträchtlichem Leidensdruck. Doch egal, welche Ursachen die Alkoholabhängigkeit in den einzelnen Fällen auch immer gehabt haben mag: Nur der Abhängige selbst kann durch den eigenen starken Willen und den Mut, auch unbequeme oder gar schmerzvolle Schritte zu tun, dauerhaft vom Alkohol loskommen. Daran führt kein Weg vorbei.Um den Mut zum Ausstieg aus der Sucht tatsächlich zu finden, muss der Betroffene, das Gefühl haben, gestützt und getragen zu werden, wenn er «mutig wird». Zudem muss er zur Einsicht gelangen, dass es sich lohnt, mutige Schritte zu tun, dass er oder sie damit dem Leben einen neuen Sinn oder eine Wendung zum Guten geben kann. Gerade hier ist die Unterstützung durch Angehörige und Freundeskreis sowie das Angebot professioneller Hilfeleistung von grosser Bedeutung. Sie können entscheidend dazu beitragen, die Persönlichkeit, das Selbstvertrauen sowie die Lebenssituation des Betroffenen soweit zu stärken, dass für ihn hoffnungsvolle mutige Schritte (wieder) möglich werden.

Die Angehörigen: Der Mut, (auch) unbequeme Lösungen zu suchen…
Die Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit, welche nicht nur die Betroffenen selbst, sondern ebenso deren Familie sowie deren Freundes- und Bekanntenkreis(mit-)leiden lässt. Über 40% der erwachsenen Schweizer Bevölkerung im Alter von 15 bis 74 Jahren kennen in ihrem näheren sozialen Umfeld mindestens eine Person mit Alkoholproblemen.Vor allem für betroffene Familien kann die Alkoholabhängigkeit eines Mitglieds zur schweren Belastung und gar zum Teufelskreis werden: Aus Angst, dass die Familie auseinanderbricht oder das Alkoholproblem bekannt wird, versuchen die Angehörigen häufig ohne Unterstützung von aussen, dem Abhängigen zu helfen, indem sie ihm das «Alkoholikerleben» so weit als möglich erleichtern. Damit kann zwar für eine gewisse Zeit nach aussen hin das intakte Bild der Familie einigermassen gewahrt bleiben, doch der Preis dafür ist hoch: Die Angehörigen werden «mitabhängig» – gefangen in einem ständigen Versteck- und Verdrängungsspiel – und unterstützen schliesslich gar ohne es zu wollen den Alkoholismus des Betroffenen, der ja weitertrinken kann, denn alles funktioniert bestens und für ihn wird gesorgt.Um einem Familienmitglied oder nahen Bekannten mit Alkoholproblemen tatsächlich helfen zu können, braucht es auch seitens der Angehörigen mutige Schritte. Gerade um den oben beschriebenen innerfamiliären Teufelskreis zu durchbrechen, müssen Angehörige den Mut aufbringen, (auch) unbequeme Lösungen zu suchen, welche zumindest zu Beginn sehr schmerzhaft sein und das Familiengefüge einer starken Belastung aussetzen können. Soll sich beim betroffenen Familienmitglied etwas ändern, darf die Familie den Betroffenen nicht einfach vor sich selbst und anderen «schützen». Die betroffene Person muss – unter Beizug professioneller Hilfe – auch von Seiten der Angehörigen in konstruktiver Weise mit dem Problem konfrontiert und gleichzeitig von der Familie emotional unterstützt werden.

Das Hilfssystem: Der Mut, sich für Betroffene auch öffentlich einzusetzen…
In der Schweiz ist im Alkoholbereich über viele Jahre hinweg ein Netz professioneller Hilfeleistungen aufgebaut worden, welches unterteilt werden kann in:

Das ambulante Behandlungsangebot im Suchtbereich ist hierzulande gut ausgebaut. Gesamtschweizerisch bieten gegen 80 auf Alkoholprobleme spezialisierte Beratungsstellen sowie rund 90 Stellen der allgemeinen Sozialhilfe ihre beratenden, vermittelnden und teilweise auch therapeutischen Dienste an. 1999 haben gemäss der «Statistik der ambulanten Behandlung und Betreuung im Alkohol- und Drogenbereich (SAMBAD)», welche rund 55% aller ambulanten Einrichtungen im Suchtbereich in der Schweiz erfasst, von den insgesamt über 5300 neuen Beratungsaufnahmen wegen Suchtproblemen gut 65% den Alkohol betroffen.Im stationären Bereich gibt es in der Schweiz über 60 Einrichtungen mit unterschiedlichen Angeboten für Menschen mit Alkoholproblemen. Ein gutes Drittel davon (insgesamt 22) sind Alkoholfachkliniken, Spitäler und Psychiatrische Kliniken. Die zehn therapeutischen Deutschschweizer Kliniken, welche der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Kliniken und Rehabilitationszentren für Alkohol- und Medikamentenabhängige (SAKRAM) angehören, haben im Jahr 2000 rund 1000 Eintritte verzeichnet. Insgesamt werden jährlich rund 33 000 Alkoholabhängige stationär behandelt: 25 000 in Spitälern, 7000 in Psychiatrischen Kliniken und rund 1000 in Alkoholfachkliniken.Nicht nur von Seiten der Betroffenen und Angehörigen sind mutige Schritte notwendig. Auch von den einzelnen Fachleuten sowie den Beratungs- und Behandlungsinstitutionen ist Mut gefordert, insbesondere wenn sie öffentlich für alkoholkranke Menschen einstehen, über welche in unserer Gesellschaft lieber hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Mut bedeutet in diesem Zusammenhang auch «Farbe bekennen», sich für die Interessen der Schwächeren in unserer Gesellschaft einsetzen und sich für diese exponieren. Gerade hier hat das professionelle Hilfssystem eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Die Fachleute sind zudem dazu aufgerufen, den Angehörigen und Betroffenen die mutigen Schritte zu erleichtern, indem sie die professionellen Hilfsangebote sichtbar machen und die Zugangsmöglichkeiten zu den Fachinstitutionen erleichtern.Schliesslich bedeutet mutig sein auch, als Fachleute im Interesse der Betroffenen und zur Verminderung der Alkoholproblematik konkrete Massnahmen vorzuschlagen und Forderungen zu stellen, die auf politischer Ebene nicht unbedingt auf hohe Akzeptanz treffen und zuweilen auch der jeweiligen Kultur und ihren Traditionen entgegengesetzt scheinen.

Die Politiker/innen: Der Mut zu unpopulären Massnahmen…
Mutige Schritte sind auch auf politischer Ebene gefragt. Der Einsatz von Politikerinnen und Politikern für eine kohärente Alkoholpolitik trifft häufig auf starken Widerstand, sind doch beachtliche finanzielle Interessen sowie kulturell tief verankerte Traditionen mit der Alkoholthematik verknüpft. Sich dem Druck von Wirtschaft und Traditionen zu entziehen und die Gesundheit der Bevölkerung, den Schutz der Heranwachsenden sowie die Interessen der von Alkoholproblemen Betroffenen als wichtigste Grundlagen alkoholpolitischer Entscheidungen und Initiativen anzuerkennen, erfordert ebenfalls Mut. Die aktuellen Parlamentsdebatten um die Zulassung der Alkoholwerbung im Privatfernsehen sowie um die Senkung der Promillegrenze auf die in der EU üblichen 0,5 Promille machen deutlich, dass vielen Politikerinnen und Politikern dieser Mut häufig noch fehlt.

Die Prävention: Der Mut, die Folgen des Missbrauchs beim Namen zu nennen…
Den in der Alkoholprävention tätigen Fachleuten kommt unter anderem die wichtige, häufig aber auch undankbare und auf Ablehnung stossende Aufgabe zu, der Öffentlichkeit die Folgen des Alkoholmissbrauchs – für den Einzelnen und die Gesellschaft – immer wieder von Neuem vor Augen zu führen. Dies geschieht in mannigfaltiger Weise, z.B. im Rahmen von Veranstaltungen des diesjährigen Solidaritätstages oder auch in Form von Informationsmaterialien.

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Das Projekt wird durch den Nationalen Alkoholpräventionsfonds finanziert.